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Ausschlagung der Erbschaft

Entgegen der irrigen und oft vorherrschenden Vorstellung, dass ein Erbe aktiv angenommen werden muss, gilt im deutschen Erbrecht das Prinzip des Vonselbsterwerbs: Der Nachlass geht auf die Erben über, auch ohne dass diese ausdrücklich initiativ werden müssen oder auch vom Anfall der Erbschaft etwas zu wissen brauchen. Solange der Erbe die Erbschaft fristgerecht noch ausschlagen kann, ist die Erbschaft bis zur Annahme „vorläufig“.

Ein ebenfalls verbreiteter Irrtum: Die Ausschlagung der Erbschaft führt nur in bestimmten Ausnahmefällen dazu, dass dem Ausschlagenden das Pflichtteilsrecht verbleibt. Bis auf wenige Ausnahmetatbestände beseitigt die Ausschlagung des Erbteils auch den Anspruch auf den Pflichtteil. Der in der Praxis weitaus häufigste Ausnahmefall ist jener des § 2306 BGB: Wenn ein als Erbe berufener Pflichtteilsberechtigter durch die Einsetzung eines Nacherben, die Ernennung eines Testamentsvollstreckers oder eine Teilungsanordnung beschränkt oder mit einem Vermächtnis oder einer Auflage beschwert ist, kann er den Pflichtteil verlangen, wenn er die Erbschaft ausschlägt. Die Ausschlagungsfrist beginnt erst, wenn der Pflichtteilsberechtigte von der Beschränkung oder der Beschwerung Kenntnis erlangt. Eine weitere Ausnahme besteht für Ehegatten, die im Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt haben. Die Ausschlagung kann zudem nicht beschränkt auf einen Teil des Erbes erklärt werden. Nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip gilt: entweder alles annehmen oder alles ausschlagen.

Ist die Erbschaft einmal angenommen, kann sie nicht mehr ausgeschlagen werden. Am häufigsten ist die Annahme der Erbschaft durch Fristablauf. Wichtig zu wissen ist, dass auch sogenanntes objektiv „schlüssiges Verhalten“ zur Erbschaftsannahme führt, beispielsweise wenn der Erbe Nachlassgegenstände veräußert oder für eigene Zwecke verwendet. Damit zeigt er schlüssig, dass die Erbschaft angenommen wurde. Grundsätzlich kann jeder Erbe ausschlagen – unabhängig davon, ob er im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge oder durch ein Testament berufen wurde.

Für die Ausschlagung einer Erbschaft kann es verschiedene Gründe geben. Der klassische Fall ist die Überschuldung des Nachlasses, denn der Erbe haftet mit seinem persönlichen Vermögen für die Verbindlichkeiten des Nachlasses. Sofern die Überschuldung nicht sicher feststeht, kann die Nachlassinsolvenz eine Alternative zur Ausschlagung der Erbschaft sein. Auch der selbst überschuldete Erbe kann ausschlagen, um die Erbschaft dem Zugriff seiner Gläubiger zu entziehen. Die Ausschlagung kann aber auch erklärt werden, um von einer im Testament enthaltenen Beschränkung oder Beschwerung frei zu werden oder – bei bestehender Zugewinngemeinschaft – den Zugewinnausgleich geltend machen zu können.

Ferner kann die Ausschlagung ein Instrument sein, andere Erben (z. B. die eigenen Kinder) zu begünstigen. Ein Erbe auszuschlagen kann schließlich auch steuerliche Gründe haben, etwa um durch eine Ausschlagung zugunsten naher Verwandter den Erbschaftsteuerbetrag zu verringern oder um die eigenen Kinder durch Vermeidung des doppelten Anfalls der Erbschaftsteuer zu begünstigen.

Die Ausschlagung ist gegenüber dem Nachlassgericht zu erklären; fristwahrend kann sie entweder zur Niederschrift des für den Erbfall oder für den Wohnort des Anfechtenden zuständigen Nachlassgerichts erklärt werden; im Übrigen kann sie vor jedem Notar abgegeben werden, wobei der Notar die Ausschlagungserklärung dann noch rechtzeitig beim Nachlassgericht einreichen muss. Die Ausschlagung ist fristgebunden und innerhalb der kurzen, gesetzlich festgelegten und nicht verlängerbaren Ausschlagungsfrist von 6 Wochen einzureichen. Die Ausschlagungsfrist beträgt 6 Monate, wenn der Erbe sich bei Eintritt des Erbfalls im Ausland aufhielt oder der Erblasser seinen einzigen Wohnsitz im Ausland hatte. Ist die Ausschlagungsfrist verstrichen, bleibt der vorläufige Erbe endgültig Erbe des Nachlasses; im Einzelfall kann die Annahme der Erbschaft jedoch unter bestimmten Voraussetzungen angefochten werden.

Ist die Ausschlagung der Erbschaft form- und fristgerecht erklärt, gilt der Anfall der Erbschaft an den Ausschlagenden als nicht erfolgt. Indem dann rechtlich der Ausschlagende so behandelt wird, als hätte er zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht gelebt, kommt der nächstberufene Erbe zum Zug, d. h. der im Testament eingesetzte Ersatzerbe oder der nächstberufene entsprechend der gesetzlichen Erbfolgeordnung.

Die Ausschlagung der Erbschaft ist eine Maßnahme mit vielen Konsequenzen. Wenn Sie hierzu Fragen haben oder Unterstützung benötigen, steht Ihnen in unserer Kanzlei Fachanwalt für Erbrecht Dietmar C. Schilling als Spezialist gerne zur Seite. Sie können ihn über unser Kontaktformular erreichen, ebenso telefonisch oder persönlich an unseren Kanzleistandorten in Stuttgart und Tübingen.